Angehörigenportraits

Carole und Malvina, pflegende Angehörige ihres Sohnes und Bruders Diego, der einen schweren Unfall erlitten hat

[vollständiger Bericht erschienen in der Journal der Pflegenden Angehörigen 1/2022].


Wir sind Carole und Malvina, Mutter und Schwester von Diego, der2015 auf einer Reise mit FreundInnen auf Zypern Opfer eines QuadUnfalls wurde. Diego wurde am Tag des Unfalls in ein Krankenhauseingewiesen. Wir nahmen sofort ein Flugzeug und erhielten erstInformationen zu seinem Zustand, als wir vor Ort ankamen. Wirwussten bis dahin nicht einmal, ob er noch lebte. Im Nachhinein istes unmöglich zu erklären, wie wir diese Situation überstandenhaben. Wir waren wie ausser uns und handelten mechanisch.Beispielsweise packten wir irgendwelche Kleider in den Kofferbevor wir losgingen, und obwohl es Hochsommer war packten wirauch Winterkleider – wir wussten einfach, dass wir den Koffer füllenmussten. Als wir mitten in der Nacht ankamen, waren wir fast schonerleichtert, Diego im Spital zu sehen, wir fühlten uns aber wie imFilm. Wir kamen in einen Saal, in dem mindestens 40 jungeTouristInnen und Einheimische mit Schädel-Hirn-Trauma in Bettenlagen. Wir hörten nur den Lärm der Maschinen… die Familien derBetroffenen wohnten Tag und Nacht im Spital und unterstützten sichgegenseitig. In der ersten Woche waren es tatsächlich dieSolidarität und die engen Beziehungen, die wir aufbauen konnten,die uns über Wasser gehalten haben. Nach mehrerenunvorhersehbaren Ereignissen konnten wir Diego dann nach siebenTagen endlich mit der REGA in die Schweiz zurückfliegen.

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Zoraima Albini, Mitarbeiterin der Angehörigenhilfe des Freiburger Netzwerks für psychische Gesundheit (FNPG)

[vollständige Aussage erschienen im Newsletter 9/2022]

Wo arbeiten Sie? Was ist das FNPG und was ist die Angehörigenhilfe?

Ich arbeite im FNPG, hauptsächlich als Sozialarbeiterin in einer Abteilung des Stationären Behandlungszentrums in Marsens und zusätzlich auch als Mitarbeiterin der Angehörigenhilfe. Das FNPGgewährleistet die psychiatrische Versorgung der Freiburger Bevölkerung durch die Bereitstellung ambulanter, stationärer und tagesklinischer Strukturen sowie mobiler Angebote im Lebensumfeld derPatienten (letzteres nur für jugendliche Patienten). Die Leistungen des FNPG basieren auf dem biopsycho-sozialen Modell und richten sich in erster Linie an Menschen mit psychischen Störungen.Wenn ein Familienangehöriger psychisch erkrankt, wirkt sich dies aber auf das ganze Familienlebenaus. Deshalb widmet sich die Angehörigenhilfe des FNPG den Angehörigen psychisch erkrankterMenschen. Die Angehörigenhilfe organisiert und leitet Unterstützungsgruppen für Angehörige undfördert Synergien mit anderen Freiburger Hilfsorganisationen. Sie besteht aus einem interprofessionellen Team, das Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen, einePflegefachperson und einen Arzt umfasst. In unserer Unterstützungsarbeit respektieren wir dieMenge an Aufgaben, die die Angehörigen übernehmen möchten und können. Unsere Begleitung istauf Prävention und Gesundheitsförderung ausgerichtet und wird von unseren Behörden über sogenannte gemeinwirtschaftliche Leistungen finanziert: Angehörige von psychisch Erkrankten leisten einen wichtigen sozialen Beitrag und sind Belastungen ausgesetzt, die ihre Gesundheit und ihre Lebenspläne beeinträchtigen können. Tatsächlich erhalten sie durch die Teilnahme an unseren Angehörigengruppen auch eine öffentliche Anerkennung ihres Engagements, weil diese Unterstützungsleistungen aus der öffentlichen Solidarität finanziert werden.

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Alexandra Dénervaud, Pflegehelferin SRK im Dienst Hilfe für Angehörige des Freiburgischen Roten Kreuzes

[vollständige Aussage erschienen im Newsletter 8/2022]

Ziel des Entlastungsdienstes ist es, betreuende Angehörige zu vertreten, die eine erkrankte oderbetagte Person oder eine Person am Lebensende betreuen. Die Pflegehelfenden SRK kommennach Hause und betreuen die Person, wenn die angehörige Person abwesend ist. Ihre Ausbildungund Erfahrung im Pflegebereich erlauben eine professionelle und qualitative Betreuung. Dieser Unterstützungsdienst kommt regelmässig oder gelegentlich für einige Stunden oder mehrere Tage proWoche. Es handelt sich um eine kostenpflichtige Dienstleistung und das Personal wird entlöhnt.

Alexandra erzählt uns von ihrer persönlichen Erfahrung:

Vor 10 Jahren habe ich begonnen beim Freiburger Roten Kreuz beim Rotkäppchendienst zu arbeiten, weil ich mich mit Kindern beschäftigen wollte. Ich bin in einer Pflegefamilie aufgewachsen undwollte der Gesellschaft etwas zurückgeben. Einige Jahre später hat mir eine Kollegin vom LehrgangPflegehelferin SRK erzählt, um ältere Personen zu betreuen und das habe ich dann begonnen.Nach 6 Monaten Ausbildung, 120 Kursstunden und Praktika, wurde ich im Entlastungsdienst desRoten Kreuz Freiburg engagiert.

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Therese Lüpold, Gesundheitsnetz See, Spitex See Lac, Stützpunktleiterin, Stützpunkt Murten und Kerzers

[vollständige Aussage erschienen im Newsletter 7/2021]

Worüber möchten Sie sprechen? / Gibt es etwas, über das Sie besonders gerne sprechenmöchten?

Da gibt es einige Themen über die ich sprechen könnte.Die Pandemie, die uns tagtäglich begleitet. Die erschwerte Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden unddie regelmässige Überzeit der Mitarbeitenden. Die Schnittstellenpartner, welche aus KapazitätsgründenKlienten bedingt oder gar nicht mehr aufnehmen können. Die ungewisse Zukunft der Pflege und Betreuungvon Klienten, Bewohner und Patienten.

Können Sie mir Ihren beruflichen Werdegang in der Institution (und im weiteren Sinne IhreBerufserfahrung bezüglich der Pflege von Angehörigen) beschreiben?

Seit fast 24 Jahren bin ich diplomierte Pflegefachfrau AKP/ Höfa 1. Ich habe 19 Jahre im Akutbereichgearbeitet, in unterschiedlichen Positionen als Dipl. Pflegefachfrau, als Führungs- undFachverantwortliche. Seit knapp 5 Jahren bin ich in der Spitex in der Führung tätig und seit 2020 imGesundheitsnetz See.In der Spitex trage ich verschiedene «Hüte». Einerseits führe ich meine Mitarbeitenden, andererseits steheich ihnen fachlich zu Verfügung und berate sie in schwierigen Klienten Situationen. Es kommt auch vor,dass Klienten oder betreuende Angehörige, mich direkt kontaktieren, um sich fachlich beraten zu lassen.Oftmals werde ich involviert bei Menschen mit Demenz, da ich eine Fortbildung als Demenzcoachabsolviert habe.Ich schalte mich bewusst ein, wenn meine Mitarbeitenden nicht mehr zurechtkommen oder dasBetreuungsnetz zu Hause problematisch wird. Ich suche danach nach Absprache mit meinenMitarbeitenden, den Kontakt mit den betreuenden Angehörigen und andere involvierte Dienste. Ich leite beiBedarf Rundtisch-Gespräche, führe mit meinen Mitarbeitenden Evaluationen der Klientensituationen durch.

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Andrea Michel, Gesundheitsnetz Sense, Koordinationsstelle (Mitarbeiterin Koordination)

[vollständige Aussage erschienen im Newsletter 6/2021]

Worüber möchten Sie sprechen? / Gibt es etwas, über das Sie besonders gerne sprechenmöchten?

Wir nehmen einen grossen Bedarf nach Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige war. Unsrufen oft Partner*innen und Kinder von Betroffenen an. Oft geht es um demenzerkrankteAngehörige, welche Sie betreuen und dabei an ihre Grenzen kommen.

Können Sie mir Ihren beruflichen Werdegang in der Institution (und im weiteren Sinne IhreBerufserfahrung bezüglich der Pflege von Angehörigen) beschreiben?

Ich bin diplomierte Pflegefachfrau FH, habe ursprünglich eine Pflegeausbildung in der Psychiatrieabsolviert und war in unterschiedlichen Institutionen im Kanton Bern tätig (Privatklinik Wyss, UPD,Klinik Wysshölzli) und danach im FNPG (Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit) in derpsychiatrischen Tagesklinik für Erwachsene. Dort hatte ich in Familiengesprächen mit pflegendenAngehörigen zu tun. Seit April 2021 arbeite ich für das Gesundheitsnetz Sense als MitarbeiterinKoordination.


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Valérie Müller ist diplomierte Pflegefachfrau und Ansprechperson bei An·gehör·ige

[vollständige Aussage erschienen im Newsletter 5/2021]

Vorstellung der Hotline An·gehör·ige

Die Hotline steht betreuenden Angehörigen zur Verfügung, um alle Arten von Fragen zubeantworten, die betreuende Angehörige in ihrem Betreuungsalltag haben können. Die Mehrheit derAnfragen, die den Fachpersonen von An·gehör·ige am Telefon gestellt werden, betreffen dieverschiedenen finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten oder vorhandeneUnterstützungsstrukturen (z.B. Tagesstätten, Möglichkeiten, um über die Situation zu reden) oderauch die Rechte der betreuten oder der betreuenden angehörigen Person. Wenn die Situation sehrkomplex ist und eine vertiefte Analyse, einen Austausch mit mehreren Personen oder einenpersönlichen Kontakt erfordert, werden die Anfragen direkt an mich als Fachperson vonAn·gehör·ige weitergeleitet. Ich nehme dann mit der Familie Kontakt auf, um sie angepasstunterstützen zu können

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Géraldine Roubaty, Koordinatorin Entlastungsdienst von Pro Infirmis im Kanton Freiburg

Pflegende Angehörige leisten tagein tagaus enorm viel – nicht nur für Ihre Angehörigen, sondern auchfür die ganze Gesellschaft. Gelegenheiten zur Verschnaufpause gibt es selten. In Ruhe einkaufen zugehen oder ein Stunde Zeit für sich zu haben, ist ohne Unterstützung von aussen kaum möglich. Hiergreifen Institutionen wie Pro Infirmis mit dem so genannten Entlastungsdienst pflegendenAngehörigen unter die Arme. Sie bieten Hand in der täglichen Aufsicht und Betreuung von Kindernoder Angehörigen mit einer Behinderung.Frau Géraldine Roubaty ist eine der zwei Koordinatorinnen beim Entlastungsdienst von Pro Infirmis imKanton Freiburg. Sie erzählt mir im Interview Näheres zu diesem Angebot und ihrem beruflichen Alltag.


Dinah Jost: Frau Roubaty, wie engagiert sich Pro Infirmis für pflegende Angehörige?

Géraldine Roubaty: Bei Pro Infirmis bieten wir pflegenden Angehörigen Hilfe und Unterstützung in dreiBereichen an. Einerseits im Rahmen vom Entlastungsdienst und dem begleiteten Wohnen, anderseitsdurch soziale Beratungen, die für pflegende Angehörige kostenlos sind. Wir legen grossen Wert darauf,pflegenden Angehörigen mit der Wertschätzung und Anerkennung zu begegnen, die sie verdienen.Unser Ziel ist es, sie in ihrem Alltag bestmöglich zu unterstützen in dem, was sie brauchen.


Mit welchen Anfragen können sich pflegende Angehörige an den Entlastungsdienst wenden?

Unser Angebot reicht je nach Bedarf von ganz kleinen Aufgaben eine Stunde pro Woche biszu Einsätzenmehrmals wöchentlich für mehrere Stunden. Dazu gehören unter anderen zum Beispiel Hilfestellungenbeim Essen und Trinken, zusammen an Freizeitaktivitäten teilnehmen oder Unterstützung fürergotherapeutische Übungen. Das heisst, wir leisten punktuell Hilfe und bieten keine 24h-Betreuungan. Grundsätzlich leisten wir jegliche Unterstützung, die die Betreuung und Aufsicht beinhaltet, ohneaber spezifische Pflege oder Haushaltstätigkeiten anzubieten. Einfache Pflege wie Haare waschen,baden oder Windeln wechseln gehören aber schon dazu [...]


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Judith Krattinger, Koordinatorin für die Begleitung zuhause, Alzheimer Freiburg.

Pflegende Angehörige leisten tagein tagaus enorm viel – nicht nur für Ihre Angehörigen,sondern auch für die ganze Gesellschaft. Gelegenheiten zur Verschnaufpause gibt es selten.In Ruhe einkaufen zu gehen oder ein Stunde Zeit für sich zu haben, ist ohne Unterstützungvon aussen kaum möglich. Hier greifen Organisationen wie Alzheimer Freiburg mit derBegleitung zuhause den pflegenden Angehörigen unter die Arme. Sie bieten den erkranktenPersonen während einiger Stunden eine individuelle Betreuung an.


Dinah Jost: Frau Krattinger, Sie sind Koordinatorin für die Begleitung zuhause von AlzheimerFreiburg. Können Sie mir Näheres zu diesem Angebot erzählen?

Frau Krattinger: In erster Linie ist es uns wichtig, dass wir die pflegenden Angehörigenentlasten können, wobei wir natürlich auch Erkrankte begleiten, die alleine leben. Ob es sichdabei um einen Spaziergang mit der betroffenen Person handelt, um Vorlesen, Musikhörenoder Singen, Diskussion oder einen Jass, ist ganz individuell verschieden. Pflegerische oderhaushälterische Tätigkeiten leisten wir jedoch in der Regel nicht. Meistens handelt es sich umein bis zwei Halbtage pro Woche, in denen unsere Betreuer_innen direkt zu den Betroffenennach Hause gehen. Damit eine persönliche Beziehung aufgebaut werden kann, legen wir Wertdarauf, dass die Begleitung immer durch dieselbe Person durchgeführt wird.


Wer leistet diese Unterstützung?

Es handelt sich um Mitarbeiter_innen mit einer speziellen Ausbildung für die Begleitung vonMenschen, die unter der Alzheimer-Krankheit oder einer anderen Demenz leiden. Eineprofessionelle Fachausbildung im Gesundheitswesen ist aber keine Voraussetzung für diesenKurs. Jede und jeder, der Freude an dieser Tätigkeit hat, kann sich dafür melden.


Wer nimmt das Angebot der Hausbegleitungen normalerweise in Anspruch?

Oftmals sind es die Ehepartner_innen der erkrankten Person, häufig aber auch die Kinder. Eskann sich ebenfalls um den Leumund oder die Spitex handeln, die uns kontaktieren, vor allemwenn es sich um Betroffene handelt, die allein leben.


Wie muss ich als pflegender Angehörige vorgehen, um von diesem Angebot profitieren zukönnen?

Uns einfach anrufen und das Anliegen schildern! Wir leiten die pflegenden Angehörigen andie richtige Stelle weiter, organisieren, was nötig ist und sind für Fragen offen.Wie engagiert sich Alzheimer Freiburg sonst noch für pflegende Angehörige?Neben der Begleitung zuhause bieten wir eine Reihe von anderen Dienstleistungen an, mitdenen wir pflegende Angehörige unterstützen können. Dazu gehören die Alzheimerferien,verschiedenen Informationsbroschüren, das Alzheimer-Café und die Gesprächsgruppen fürAngehörige, wo diese sich unter professioneller Begleitung austauschen können. Natürlichbieten wir auch Beratungen und Telefonkonsultationen an. Mehrmals jährlich findenöffentliche Vorträge statt und auch an gewissen Messen sind wir mit einem Informationsstandvertreten. Mehr Informationen zu diesen Angeboten gibt es auf unserer Webseite www.alz.ch/fr unter 'Angebote’.


Was möchten Sie pflegenden Angehörigen, anderen Fachleuten des Gesundheits- oderSozialwesens oder der Gesellschaft noch mitteilen?

Leider ist es immer noch so, dass pflegende Angehörige sehr lange warten, bis sie sich Hilfeholen. Ich wünschte mir, dass sie diesen Schritt früher wagen würden, ohne Scham undSchuldgefühle. Sie leisten einen grossartigen Job, bei dem wir sie gerne unterstützen möchten.

 

«Anderen beizustehen ist für mich eine Selbstverständlichkeit.» Gespräch mit Marianne Kolly – pflegende Angehörige

Vor mir sitzt eine Frau mit wachem Blick und offenem Herzen. Meine GesprächspartnerinFrau Marianne Kolly war über 20 Jahre lang pflegende Angehörige mit Leib und Seele. Siebetreute und begleitete enge Familienmitglieder und nähere Verwandte bei sich zu Hauseoder an deren Wohnort. Zurzeit pflegt sie privat niemanden mehr Vollzeit, für andere da zusein ist für sie aber fester Bestandteil ihres Alltags geblieben. Nicht nur in der eigenen Praxis,wo sie unter anderen andere pflegende Angehörige in der Begleitung unterstützt, sondernauch im privaten Umfeld, wo sie immer wieder «kleinere Verantwortungen» – wie sie esnennt – übernimmt.


Zu Beginn des Gespräches lege ich Frau Kolly vier Karten mit jeweils einem Hauptthema aufden Tisch. Sie darf zwischen «Bedürfnisse», «Gefühle und Auswirkungen», «Ressourcen» und«Schwierigkeiten» wählen, über welche Themen sie sprechen möchte oder nicht und inwelcher Reihenfolge. Sie entscheidet sich spontan für die Karte «Schwierigkeiten» alsStartpunkt und beginnt zu erzählen:

«Wenn man jemanden zu Hause innerhalb der Familie betreut und pflegt, braucht eseine grosse Toleranz seitens aller Familienmitglieder. In einer schwierigen Nacht mussvielleicht auch mal jemand anderes aufstehen oder helfen kommen. Wenn das eigeneKind krank wird, muss man sich organisieren, um die Doppelbelastung zusammenstemmen zu können. Es braucht eine gut funktionierende Kommunikation, Struktur undOrganisation innerhalb der Familie, damit der Alltag funktioniert und keineMissverständnisse oder Konflikte entstehen. Innerhalb des näheren Umfeldes sind aberdennoch auch Konflikte oder Missverständnisse möglich, da sich nicht alle immer überdas Vorgehen und den Umgang mit dem oder der Angehörigen einig sind. Es wardeshalb nicht immer einfach, in meiner Rolle als pflegende Angehörige richtigverstanden zu werden. Die Frage «wer zahlt» oder «wer leistet welche Hilfe», kannmanche Familienkonflikte auslösen. Für die pflegebedürftige Person ist es auch nichtimmer so einfach Hilfe anzunehmen. Die einschneidende Veränderung in derSelbstständigkeit können Stimmungsschwankungen und unterschiedliche Emotionenauslösen. Einen respektvollen Umgang ist gefragt! Somit ist es wichtig die eigenenGrenzen zu erkennen, um selber bei Kräften und im Gleichgewicht zu bleiben.»


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Gespräch mit Iris Winkelmann – pflegende Angehörige

Frau Iris Winkelmann unterstützte ihren an Krebs erkrankten Ehemann 16 Jahre lang. Beidearbeiteten neben Familie mit Kindern und der Krankheit weiter – ihr Mann bis zu seinem letztenLebensjahr zu 100%. Vor vier Jahren ist ihr Mann 52-jährig verstorben. Welche Bedürfnisse,Gefühle und Schwierigkeiten sie in dieser Zeit begleitet haben, erzählt sie im folgenden Gespräch.


Dinah Jost: Frau Winkelmann, wie haben Sie sich im Alltag mit der Krankheit Ihres Mannesorganisiert?

Iris Winkelmann: Ganz grundsätzlich muss man wissen, dass mein Mann nicht gepflegt werdenwollte. So lange es ging, hat er mit der Unterstützung von unseren Kindern und mir seine Tätigkeitselbständig ausgeführt. Dies war möglich, weil er seine Zeiten flexibel einteilen und alleine arbeitenkonnte. Dennoch übernahm ich die Hauptverantwortung für unseren Haushalt, die Kinder, dieVertretung der Familie nach Aussen, am Schluss auch die Koordination aller Arzttermine,Operationen und medizinischen Gespräche. Dies mit meinem eigenen Beruf zu vereinen, war nichtimmer einfach.


Wo mussten Sie persönliche Abstriche machen, um diese Verantwortung tragen zu können?

Ich habe immer sehr gerne gearbeitet. Es war mir sehr wichtig, im Arbeitsleben aktiv zu bleibenund teilzunehmen. Meine Position als Teamleiterin musste ich jedoch ab einem gewissen Punktaufgeben. Einen Grossteil der Verantwortung neben dem Privaten auch im Beruf zu tragen, wurdeirgendwann zu viel für mich. Mir fehlte die Kraft für beides. Aber es ging lange, bis ich mir daseingestehen konnte. Und es tat weh, diesen Schritt tun zu müssen.


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